Arbeiten ohne Briefing – geht doch!
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Arbeiten ohne Briefing – geht doch!
Die Agentur verlangt ein ausführliches Briefing, im Unternehmen des Kunden dagegen herrscht Stress und Zeitnot. Das eilige Projekt dümpelt weiter vor der Startlinie. Und jetzt? Warum es die Pflicht von Agenturen ist, das Überwinden von Hindernissen als Bestandteil ihres Arbeitsauftrags zu verstehen.
Bitte ein Briefing! Gegen diese Erwartungshaltung von Agenturen ist grundsätzlich nichts einzuwenden: Denn das Briefing ist der Startpunkt eines geordneten und stringenten Workflow-Prozesses. Es definiert Aufgabe, Zielsetzung, Leitplanken. Es enthält wichtige Informationen zu weiteren Maßnahmen des Unternehmens, Wettbewerbern, und anderes mehr. Eigentlich logisch: Was bei der Agenturarbeit unten rauskommt, kann immer nur so gut sein wie das, was oben hineingesteckt wurde. Und je besser das Briefing ist, umso mehr entsprechen die Ergebnisse den Erwartungen.
Der ideale Prozess
Sobald die Agentur weiß, was sie zu tun hat, stößt sie die einzelnen Arbeitsschritte an, die hintereinander aufgereiht sind wie Perlen auf einer Kette: Strategic Planning, Creative Process, Schulterblick mit dem Kunden, Konzeptpräsentation, Selektion und Verfeinerung der Ideen, Umsetzung, Produktion und Debriefing. Je smarter dieser Prozess durchlaufen wird, umso höher sind Effizienz (Zeit, Timings, Kosten) und Umsetzungsqualität.
Umgekehrt können unpräzise Briefings dazu führen, dass die Agentur auf halber Strecke kehrtmachen und Stufen des Workflow-Prozesses noch einmal durchlaufen muss. Es liegt ja auf der Hand: Ein Ziel, dass man nicht kennt, oder das in ständiger Bewegung ist wie ein aufgescheuchtes Moorhuhn, ist nur schwer zu treffen.
Auf dem Boden der Tatsachen
Soweit die Theorie. Denn ideale Workflow-Prozesse existieren nur in einer idealen Arbeitswelt. Die Realität auf Unternehmensseite sieht oft anders aus: Hier sind dem Fachbereich vielleicht gerade keine Informationen zu entlocken. Die Aufgabe, vor der das Marketing steht, ist nicht eindeutig beschrieben – oder es fehlt schlicht und ergreifend die Zeit, die agenturseits so dringend benötigten Infos zusammenzutragen. Das Einzige, was klar ist: Die Zeit rennt. Das Projekt duldet keinen Aufschub. Ein Messetermin oder eine Präsentation vor wichtigen Kunden sind schließlich nicht verhandelbar. Wenn man im Stau steht, gibt der Verkehrsfunk Ausweichempfehlungen. Genauso muss es auch in kreaktiven Prozessen andere Wege geben, um zum Ziel zu kommen.
In der Provinz der Provisorien
Die halbe Miete: Einen Agenturpartner an der Seite zu haben, der begreift, dass die wenigen Fragmente, die ihm übergeben werden, nichts mit Nachlässigkeit zu tun haben. Sie sind nun mal das einzig momentan Verfügbare. Eine Agentur sollte in der Lage sein, Widrigkeiten jeder Coleur in ihre Arbeit zu integrieren und trotzdem ein tragfähiges Ergebnis abzuliefern. Sie sollte jeden Ball auffangen können, der ihr vom Kunden zugeworfen wird. Denn sie verfügt über genügend Erfahrung in der Arbeit mit ihrem Kunden, Branchen-Know-how sowie Wissen aus anderen Projekten, um auf der Basis der dürftigsten Information etwas anzustoßen.
Strategen und Konzeptioner können sinnvolle Richtungen vorgeben. Texter können auf Vorhandenes zurückgreifen, zusätzlichen Input recherchieren und auf dieser Basis alternative Vorschläge entwickeln. Grafiker können Bildwelten „weiterspinnen“ und heuristische Layouts entwickeln. Alle gemeinsam können dem Kunden Brücken entgegenbauen. In einem Trial-and-Error-Verfahren und über Feedback-Schleifen kristallisiert sich dann eine Lösung heraus.
Ja, man kann eine Imageboschüre auf der Grundlage von Telefonaten und Pressemeldungen erstellen. Ja, man bekommt es hin, ein Vorstandsinterview ohne den Vorstand abzuliefern, wenn man die Marke versteht, die Perspektive auf den Markt begreift und sich in Branchentrends auskennt. Das alles sollten Agenturen nicht als Ausnahme von der Regel verstehen, sondern als integralen Bestandteil ihres Arbeitsalltags. Kreativität ohne Pragmatismus und Lösungsorientierung ist heute nicht mehr überlebensfähig.
Die richtige Grundhaltung
Anstatt in Erwartung eines Briefings in Duldungsstarre zu verfallen, sollten sich Agenturen ihrer Aufgaben als Dienstleister bewusst werden. Umgekehrt sollten sie sich auch ihrer Fähigkeiten bewusst werden, immer (!) ein Ergebnis liefern zu können, wie vorläufig dies auch sein mag. Ein Aufschlag, eine erste Stufe, ein Gerüst – das alles ist besser als gar nichts. Jedes Projekt nähert sich über iterative Annäherungen seinem Ziel – es macht also prinzipiell keinen Unterschied, wenn die Agentur mal ein paar Schritte mehr Anlauf nehmen muss.
Man muss nicht alles wissen
Leichter fahren Kreative mit dem an der Universität Siegen entwickelten Ansatz des Angewandten Nichtwissens im Hinterkopf. Dieser versöhnt den professionellen Perfektions- und Vollständigkeitswahn mit nüchternem Realitätssinn. „Angewandtes Nichtwissen“, schreibt Michael Gail, ist „das Handeln und Entscheiden auf der Grundlage nicht objektivierbarer, aber dennoch nicht beliebiger Begriffe und Vorstellungen. (…) Im Unterschied zum nicht angewandten Wissen verzichten wir bewusst und rational auf prinzipiell erlangbares Wissen, und zwar aus einer rationalen Abwägung zwischen dem Nutzen zusätzlichen Wissens und den mit seiner Gewinnung verbundenen Kosten.“
Übersetzt: Es ist möglich, ein Gericht mit der Angabe „zwei Prisen Salz“ zu kochen, auch wenn die Menge im Rezept nicht mit einer exakten Grammzahl angegeben ist. Es ist kein Problem, einen kostengünstigen Fernseher zu kaufen, obwohl man nicht die Gerätepreise im gesamten Bundesgebiet verglichen hat. Und natürlich ist es machbar, fehlende Briefing-Informationen zu überbrücken und einer Lösung entgegenzuarbeiten.
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