Ästhetik des Schreckens – die neuen Corona-Bildwelten - Liebchen+Liebchen

Ästhetik des Schreckens – die neuen Corona-Bildwelten

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Ästhetik des Schreckens – die neuen Corona-Bildwelten

Die Krise verlangt nach Bildern, um die Bedrohung greifbar zu machen. Während sich das unsichtbare Virus selbst in Illustrationen und Renderings materialisiert, werden seine Auswirkungen in Form von Realfotos dargestellt. Ein Streifzug durch die Stock-Bilddatenbanken.

Die Krise verlangt nach Bildern, um die Bedrohung greifbar zu machen. Während sich das unsichtbare Virus in Illustrationen und Renderings materialisiert, werden seine Auswirkungen in Form von Realfotos dargestellt. Ein Streifzug durch die Stock-Bilddatenbanken.

Am Anfang zeigten Illustratoren und 3D-Spezialisten ihr Können. Sie verliehen Covid-19 in zahlreichen Varianten ein Gesicht: stark schematisiert, detailliert-naturalistisch, in 3D-Anti-Stressball-Optik oder mit unheilvoll leuchtendem Zellkern. In einer kindlichen Anmutung glich das Virus einem freundlichen Alien.

Dann schlug die Stunde der dokumentarischen Realfotos. Wir sahen Menschen mit Handschuhen, Menschen mit Masken, Menschen beim Waschen und Desinfizieren der Hände, Ärzte und Patienten in Krankenhauszimmern. Wir erhielten Einblicke in den Umgang mit Proben im Labor. Im Vordergrund stand die nüchtern-sachliche Darstellung der Gefahrenabwehr.

Die dritte Evolutionsstufe der Pandemie-Bilder zeigt eine Fotografie, die den Mund-Nase-Schutz als modisches Accessoire inszeniert. Er wird aus Stoffen mit unterschiedlichen Farben und Dessins mit der Nähmaschine individuell gefertigt. Wir begegnen mit bunten Masken bekleideten Menschen im Alltag, beim entspannten Shopping und in ungezwungenen Lifestyle-Situationen. Lebensweltliche Bildinhalte, eine natürliche Atmosphäre und eine elaborierte Ausführung sind wichtiger geworden. Der Schrecken ist in das Territorium des ästhetisch Schönen vorgedrungen.

Aktuell präsentiert die Bilddatenbank Getty Images nach Eingabe des Suchbegriffs „Corona“ über 100.000 Ergebnisse. Bei Adobe Stock sind es mehr als 620.000, bei Shutterstock sogar fast 770.000.

Das darf aber nicht nur als Indiz für die Geschäftstüchtigkeit von Illustratoren, Fotografen und Bilddatenbank-Betreibern gewertet werden. Die Zahlen geben auch Aufschluss über den schnell wachsenden Bedarf. Nicht zuletzt verdeutlichen sie, dass Corona in kurzer Zeit ein großer, nicht mehr zu ignorierender Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden ist.

Wie schnell und umfassend sich unsere Wahrnehmung verändert hat, stellen wir beispielsweise fest, wenn in einem aufgezeichneten TV-Quiz der Moderator dem siegreichen Kandidaten die Hand schüttelt. Wir empfinden es als unpassend, als Remineszenz an eine ferne Vergangenheit. Demgegenüber wird der verantwortungsvolle Umgang mit der Bedrohung zur neuen Normalität, in der wir uns – notgedrungen – einrichten.

Für die Bilder gilt das Gleiche: Ist der Mindestabstand auch vor der Kamera gewahrt? Fotos, auf denen Menschen engen Kontakt haben, finden bei Kunden zunehmend weniger Akzeptanz. Bildmaterial aus der Vor-Corona-Ära steht auf dem Prüfstand. Die Suche nach neuen, alternativen Lösungen beginnt.

Zukünftig könnte die ästhetische Masken- und Social-Distancing-Fotografie verstärkt Websites, Broschüren und andere Medien erobern. Auf diese Weise würde Corona auch gleich noch unsere Welt-Bilder umkrempeln.

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